f-E-rienzeit!

Blaue Stunde an der Küste

Für manch Glückliche ist dieser Sommer der erste, in dem sie und er mit eigenem E-Auto statt mit dem fossil angetriebenen Verbrenner in den Urlaub fahren. Viele elektrische Fahrzeuge und Modelle sind ja im letzten Jahr auf die Straße gekommen und nun auch außerhalb der Homezone unterwegs. Auf der Reise und an den Zielorten ist es daher hilfreich, für den ungetrübten Urlaubserfolg einige Punkte zu berücksichtigen.

Alte E-Hasen und -Häsinnen…

…wissen ja, wie sie sich unterwegs und am Ferienziel mit Strom versorgen. Wer seine Erfahrung mit E-Mobilität schon vor Jahren begonnen hat, der kann ja ein Liedchen singen von damals kleinen Akkus und langsamen und dazu dünn gesäten Lademöglichen auf seiner Fahrt in die Ferne. Nicht zu sprechen von teilweise komplett fehlender Ladeinfrastruktur am Zielort, besonders wenn dieser in ländlicher Umgebung lag. Solch „neumodischer Tüddel“ wie öffentliche Ladeanschlüsse wurde vielerorts lange Zeit eher kopfschüttelnd weggelächelt. Aber dafür gab es in der Regel eine große Hilfsbereitschaft, wenn man als E-Pionier nach einem geeigneten Stromanschluss zum Laden für sein Auto gefragt hat.

Ladetouristen beim Destination Charging

Für den Newcomer sieht es schon deutlich besser aus. Inzwischen haben viele Kommunen und Fremdenverkehrsverbände neu- und nachgedacht. Je nach Region und grundsätzlicher Akzeptanz der Energiewende findet man 2022 beinahe an jedem touristischen Ziel eine Lademöglichkeit – allerdings oft wirklich nur eine

Doch was in der Nebensaison und für die Einheimischen sonst völlig ausreicht, ist in der Hauptsaison quasi ständig besetzt von den Touristen, die sich dann ja in den Ferienorten konzentrieren und inzwischen vermehrt elektrisch anreisen.

HPC bei ARAL Autohof Wittenburg:
Hier gibts sogar Platz für den Hänger

Auch auf den Fernverbindungen ist das Angebot an Ladepunkten in den letzten zwei Jahren zwar erheblich gewachsen und Gleichstrom-Schnelllader (DC) sowie High Power Charger (HPC) gibt es jetzt an allen Strecken. Doch auch hier kommt es seit letztem Sommer mitunter zu Warteschlangen. Denn nun sind an bestimmten Tagen wesentlich mehr E-Autos unterwegs. Plötzlich trifft man überraschend viele andere E-Mobilisten, auf der Fahrt und am Ziel und beim Laden.

Das liegt sowohl an der Verbesserung der Fahrzeugeigenschaften für Langstrecken, wie sicher auch an der aktuell hohen finanziellen Förderung. Vor drei, vier Jahren hatten sich die Fahrer*innen auf Reisegeschwindigkeiten von um die 100km/h, Etappen von um die 130km Länge einzustellen und die Ladepause dauerte etwa eine gute Stunde. Die Zielgruppe, die damit umgehen konnte und wollte, war deutlich kleiner.

Heute sind 130km/h kein Unding, dabei werden Intervalle von 250km und Ladezeiten von jeweils unter 30 Minuten möglich. Dafür gibt es weit mehr Akzeptanz, auch bei vorher kritischen Autofahrer*innen.

Doch trotz weiter entwickelter Eigenschaften unterscheidet sich ein E-Auto von einem Fahrzeug mit fossilen Treibstoff fundamental und in der Verwendung. Das ist ja gerade das Schöne. Es kann aber bei falschen Vorstellungen zum Ärgernis werden. Besonders, so lange der Ausbau der Ladeinfrastruktur trotz aller Verbesserungen in Fläche und Dichte noch immer schleppend vorangeht.

Nicht alles glauben und selber denken

Man sollte vor allem keinesfalls auf die offiziellen Angaben zur Reichweite in Prospekten hereinfallen. Diese Werte können eine Vergleichsmöglichkeit für unterschiedliche Fahrzeugmodelle bieten, sind aber nichts, was sich typischerweise in der Praxis ereignet und somit komplett nutzlos für die Planung von längeren Fahrten.

Auch auf Erfahrungen aus dem Stadtverkehr oder kurzen Strecken nahe des Wohnorts über die Landstraße zu setzen, ist zumindest trügerisch. Je nach Bauweise des Autos (Luftwiderstand) und den Umgebungsbedingungen wie Temperatur und vor allem Wind schwankt der Verbrauch besonders auf längeren Autobahnfahrten sehr viel stärker als beim Verbrenner.

Und während Benziner oder Diesel im Stadtverkehr den höchsten durchschnittlichen Verbrauch haben, ist er für diese Antriebe bei gleichmäßigen Autobahnfahrten meistens geringer. Beim E-Auto ist es genau umgekehrt und erfordert eine entsprechende Anpassung an die Physik dieses Antriebs.

Besonders für Newcomer helfen daher die folgenden Tipps, damit die Fahrt in den Urlaub und der Aufenthalt mit dem E-Auto am Ferienziel angenehm und ein Spaß werden.

1. Ladestopps der Reise sinnvoll planen

Wer ein wenig rechnet, ist stark im Vorteil. Und man sollte dafür zwei Zahlen kennen: Die Energie des Autos im Akku in Kilowattstunden und den persönlichen Durchschnittsverbrauch auf 100km.

Es ist unterwegs zum Beispiel selten hilfreich, den Ladevorgang bis zur vollständigen Füllung (100% SOC) des Akkus auszudehnen. Zwischen 10% und 80% SOC laden die meisten Autos am schnellsten. Daher sollte man auf Langstrecken grundsätzlich nur von 70% seiner Akkukapazität ausgehen.

Bei etwa 130km/h Reisegeschwindigkeit und einigen Überholvorgängen kann man rund 30% zu seinem Durchschnittsverbrauch im Alltag aufschlagen. Mit beiden Werten lässt sich dann über den Daumen ganz gut kalkulieren, wie weit man in einer Etappe problemlos fahren kann.

Ein Beispiel:

70% eines 50kWh Akkus sind rund 35kWh. Wenn im Alltag der Bordcomputer einen Durchschnittsverbrauch von etwa 18kWh ermittelt hat, rechnet man für 130km/h mit 24kWh je 100km Strecke. Das ergibt eine Etappe von etwa 145km, wenn man entspannt fahren und flott laden möchte. Hier sieht man sofort, was die sehr fiktive Angabe im Werbeprospekt für die Planung von Langstrecken taugt. Da steht etwas von um die 400km, stimmt‘s?

Schnellimbiss für das Auto nach rund 170km bei zügiger Geschwindigkeit (IONIQ 5 mit einem 74kWh Akku)

Etappen von 150km bei flotter Fahrt und bis zu 250km bei gemäßigter Geschwindigkeit sind also erste Anhaltspunkte für die Planung. Baustellen senken den Verbrauch beträchtlich, Gegenwind und Anstiege erhöhen ihn. Das lässt sich aber (noch) von keinem Bordcomputer exakt vorausberechnen.

Da ein warmer Akku um die 40°C besser lädt, kann bei entsprechender Außentemperatur eine flottere Fahrweise zu insgesamt kürzerer Fahrzeit führen. Wer dagegen gemütlicher unterwegs ist, spart natürlich generell Strom und muss seltener laden. Ob das bezüglich einer kurzen Reisezeit etwas bringt, hängt stark vom Verkehrsaufkommen, der Lage der Ladepunkte und letztlich der gesamten Distanz ab. Sparsam zu fahren lohnt sich eigentlich nur, wenn das Ziel bequem innerhalb der errechneten Reichweite liegt und somit unterwegs überhaupt nicht geladen werden muss.

Auf jeden Fall sollte man sich in seiner Lade-App die für das eigene Automodell und Stromtarif geeigneten Ladepunkte auf der gesamten Strecke vor Antritt der Fahrt einmal genauer ansehen. Wenn man dann mehr oder weniger verbraucht als gedacht, lässt sich der ursprüngliche Plan unkompliziert optimieren.

Die tatsächlich angenehm zurückzulegenden Distanzen pro Etappe werden maßgeblich durch das eigene Temperament, die Akkugröße sowie Ladetechnik des Autos und die Umgebungsbedingungen beeinflusst. Und natürlich durch die Frage, wie oft man oder frau eine sogenannte Biopause für das persönliche Wohlbefinden braucht.

Der gelegentliche Blick auf die Reichweitenanzeige hilft am Anfang, den Plan zu checken und gegebenenfalls zu ändern. Später orientiert man sich dann an den individuellen Erfahrungen und kommt natürlich zu eigenen Intervallen und Geschwindigkeiten.

2. Eigene Ladetechnik dabei haben

Am Zielort wird das Auto vermutlich ähnlich betrieben, wie am Wohnort, oder sogar sehr viel seltener benutzt. Der volle Akku hält demnach eine Woche, vielleicht sogar den ganzen Urlaub lang, bis man an die Ladesäule muss. Doch was tun, wenn dort schon andere E-Touristen laden?

Nun, auch hier kann gute Vorbereitung helfen. Viele E-Autos haben ein „Notladekabel“ in der Ausstattung. Damit lässt sich bei ausreichend Zeit jeder Akku auch an der Haushaltssteckdose aufladen. Und Zeit sowie ein geeigneter 230V-Anschluss sollten am Urlaubsort ja eigentlich immer vorhanden sein.

Standzeit sinnvoll genutzt

Wer sich hier flexibel dem breiten Angebot von Stromanschlüssen anpassen möchte, kann sich eine Art „mobile Wallbox“ anschaffen. Mit entsprechenden Adaptern kann man dann auch alle Drehstromanschlüsse nutzen, die höhere Ladeleistungen und kürzere Ladezeiten ermöglichen. So etwas findet man in ländlicher Umgebung fast an jedem Haus.

Strom von der Wiese

Als Camper nutze ich zum Beispiel gerne die soliden blauen CEE-Dosen, die inzwischen Standard auf den meisten Plätzen sind. Ihre Anschlusskontakte sind wesentlich besser für hohe Dauerlast geeignet als die der Schuko-Steckdosen und übertragen schadlos bis zu 16A, also rund 3,6kW.

Aber auch die rote CEE-Dosen mit ihren drei Stromleitern (Phasen) sind nicht zu verachten, wenn man sie denn nutzen kann. Der unvermeidbare Ladeverlust ist bei 11kW auf drei Phasen meist erheblich geringer als mit niedriger Leistung.

NRGKick, JuiceBooster und andere Fabrikate solcher Ladekabel sind zudem für viele auch zuhause die optimale Lösung für das Laden – zum Beispiel in der eigenen Garage. Unterwegs ist mein NRGKick das Mittel der Wahl, um üblicherweise stark frequentierte Ladesäulen am Urlaubsort bei Bedarf komplett zu vermeiden. Passt ja auch gut unter den Boden des Kofferaums und ist daher bei mir statt des serienmäßigen Notladekabels stets mit an Bord.

Immer dabei für alle Fälle:
Ladekabel NRGKick (blaues Kabel mit roten Adaptern)

3. Stoßzeiten meiden

Mit zähem Verkehr oder Staus rechnet man natürlich immer, wenn in der Reisezeit das Verkehrsaufkommen hoch ist. Durch die gestiegene Beliebtheit des neuen Antriebs sind nun aber auch Wartezeiten an Schnellladepunkten zu Ferienbeginn oder an beliebten Reisetagen zunehmend die Folge.

Wer früh oder spät am Tag losfährt, kann das häufig umgehen. Eine andere gute Möglichkeit besteht darin, nicht allein die HPC-Ladeplätze zu nutzen, sondern je nach Ladeausstattung auch Alternativen zu berücksichtigen. Diese findet man oft etwas abseits der Autobahnen an Nebenstrecken, an Ausflugszielen oder regionalen Attraktionen. Nutzt man solche Zwischenziele für längere Ladestopps, erlebt man außerdem oft überraschend schöne Strecken und Orte. Schließlich wird ja beim Autofahren immer die Individualität und die Freiheit beschworen. Und dann müssen alle dieselbe Strecke in möglichst kurzer Zeit hinter sich bringen, wie einen unangenehmen Zahnarztbesuch? Wo bleibt da die Freude an der Fahrt? Im Prospekt, im Werbefilm? Das geht besser.

Also lieber mal die schnelle Strecke verlassen und einen längere Pause dort einlegen, wo man zum Beispiel etwas besichtigen und nett Mittagessen kann, als schimpfend im Stau oder ungeduldig in einer Schlange vor der Ladesäule zu warten. Nach einer solchen „Premium-Pause“ ist dann selbstverständlich auch das Auto wieder voll geladen. Im Ergebnis kommt man entspannt und gut unterhalten an und auch der Reisetag wird zum echten Urlaub.

Fazit

Die primäre Frage ist also in der Praxis nicht, wie weit man mit einer Akkuladung fahren kann. Vielmehr sollte man sich überlegen, was man auf der Fahrt erleben und sehen möchte und wann einem Pausen zum Essen und für das Wohlbefinden angenehm sind. Dann schaut man, wo sich das mit Ladestopps kombinieren lässt. Schließlich ist man in den Ferien und nicht auf der Flucht.

(Mmh, eigentlich kann man diese Redewendung heute nicht mehr benutzen, wo dieses schreckliche Schicksal so viele Menschen nun tatsächlich betrifft… Aber ihr wisst, wie es gemeint ist.).

So kann es einem gehen

Ein ganz aktuelles Beispiel mit dem IONIQ5 (73kWh Akku) auf einer 400km Fahrt durch Norddeutschland bei diesmal wenig Wind, Temperaturen um 20 Grad und geringem Verkehr an einem Samstagnachmittag. Dabei wurde Wert auf die Verwendung von IONITY-Ladepunkten gelegt, weil beim genutzten Tarif dort auch noch die günstigsten Stromkosten von 29ct je Kilowattstunde berechnet werden.

Start mit rund 70% SOC für die ersten 125km bis zur späten Mittagspause nach nicht ganz eineinhalb Stunden Fahrt über Landstraße und Autobahn mit den leider üblichen 10km Baustellen. Da alle Hunger haben, passt das am besten und dauert mit Händewaschen usw. dann aber rund 40 Minuten. Da ist das Auto inzwischen voll geladen und 54kWh gezapft.

Ladestopp Buddikate West – Futter für Pferd und Reiter

Den Rest der Strecke könnte man jetzt eigentlich in einem Stück zurücklegen. Da jedoch das Wetter so schön, die Autobahn so leer ist und außerdem der Wunsch nach einem frischen Kaffee laut wird, stoppen wir schon nach rund 175km noch einmal. Dabei fahren wir meist mit 130 bis 140 km/h, mitunter ein Stück um die 150 aber je nach Verkehrslage, Lust und Laune auch mal 20km mit 180 bis 190 Sachen.

Während der 11 Minuten, in denen der Cappuccino geholt wird, hängt das Auto am Kabel. Dabei fließen immerhin fast 33kWh. Angekommen sind wir schließlich entspannt nach rund 5 Stunden Reisezeit inklusive 55 Minuten zum Essen und Kaffeeholen, während derer natürlich geladen wurde. Reine Fahrzeit also etwa 4h bei einem Schnitt von 100km/h. Die Kosten betrugen für die gesamte Fahrt etwa €36 für 120kWh. Da waren €6 extra für zwei leckere Lavazzo an der Eni-Tanke locker noch im Budget.

So eine Fahrt lässt sich selbstverständlich auch noch preiswerter und vielleicht sogar in kürzerer Zeit durchführen:
Indem man etwas langsamer fährt (!), ein Brötchen in der Tupperbox dabei hat und seinen Kaffee aus der Thermoskanne trinkt. Ganz nach Belieben. Dann hätte man aber mit 100% starten, die Geschwindigkeit unter 130km/h halten und seinen Imbiss gegebenenfalls während der Fahrt genießen müssen.
Den 10 Minuten Stopp nach rund drei Stunden Fahrt hätte man aber wohl schon aus biologischen Gründen gebraucht. Dabei wäre die Standzeit sicherlich auch zum Nachladen genutzt worden.

An den Ladepunkten war übrigens immer Photovoltaik und Windkraft in unmittelbarer Nähe. Da Strom immer auf dem kürzesten Weg fließt, stammen die Elektronen für alle Ladevorgänge dieser Fahrt tatsächlich aus den Solarpanelen und Generatoren dieser Anlagen und nicht aus weit entfernten Kohle- und Atomkraftwerken. Eine saubere Angelegenheit.

Mit diesen Erfahrungen, Tipps und etwas gesundem Menschenverstand sollte es also klappen mit der E-Reise, auch wenn es das erste Mal ist. Enttäuschungen müssen dann nicht sein und man kann die vielen spürbaren Vorteile des E-Autos genießen.

Bleibt mir nur noch, uns allen einen grandiosen Sommerurlaub zu wünschen! Mit schöner, sauberer, leiser, preiswerter und interessanter Reise, netten Begegnungen und Gesprächen. Bleibt gesund, seid freundlich, habt Spaß – und ladet gut!

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