Gerade im Sommer reizt es Nutzer von Elektroautos, Fahrten über die einfache Reichweite der Autos hinaus zu unternehmen oder sogar den Urlaub damit zu verbringen. Seit dem letzten Jahr (siehe auch Elektrisch Wandern) haben sich die Bedingungen dafür teilweise verbessert. Vieles bleibt für die Zukunft jedoch noch zu tun.
Insellage
Die um Berlin herum sehr spärlichen Schnelllademöglichkeiten machen weiterhin eine gute Vorbereitung notwendig. Dabei ist der Routenplaner von GoingElectric unverändert mein Favorit.
Allerdings ist ist es auch in diesem Jahr schwierig, von Berlin aus in Richtung Ostsee zu kommen. Der Erfolg der Bundespolitik und der von ihr eingesetzten Organisationen ist in dieser Hinsicht bedauerlich gering. Nur sehr wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Zeit und Geld wird da in meinen Augen wenig zielführend verwendet, ein praktischer Nutzen der eingesetzten Mittel ist quasi nicht wahrnehmbar, von „Schaufenster“ oder „Leitmarkt“ ganz zu schweigen. (Hier ein treffliches Interview zum Thema).
Wenn jemand etwas tut, dann sind es überwiegend Gemeinden und deren Stadtwerke, Tourismus-Verbände mit Weitsicht oder auch Handel, Gewerbe und Privatleute, die sich erfolgreich engagieren und die magere Ladestruktur verbessern. Deren Geld fließt vor allem in Wechselstrom-Schnellladetechnik (AC), die sich relativ preiswert installieren lässt. Dies bildet für entsprechend ausgestattete Fahrzeuge derzeit die Basis, längere Strecken problemlos zurücklegen zu können.
Reisen statt rasen
In diesem Jahr muss meine Route daher nicht mehr über Neustrelitz und Rostock führen, sondern ich kann wesentlich direkter über die B5 und dann in Richtung Parchim starten. Das ist in diesem Jahr durch das Biohotel Landgut A. Borsig möglich, das im Rahmen der Initiative „Baden & Laden“ des Brandenburger Tourismus etwa 50km vor Berlin einen kostenlosen Ladepunkt mit 22kW anbietet.
Hier kann man binnen 20 Minuten nicht nur die Strom-Reserve aufladen, die das Erreichen der nächsten Ladesäule in Parchim ohne Risiko möglich macht, sondern auch bei einem leckeren Milchkaffee auf der Terrasse am See die ersten Urlaubsgefühle aufkommen lassen.
Daran hat jedoch auch schon die B5 mit ihren schattigen Alleen ihren Anteil: Habe ich mich bisher eher über die stark überwachte Begrenzung auf 80km/h geärgert, kann ich heute bei vorgeschriebener Höchstgeschwindigkeit reichweitenfreundlich durch die schöne Landschaft cruisen.
Diese Entschleunigung fördert meine Vorfreude auf den Urlaub ganz nebenbei. Sie lässt die Fahrt mit dem Elektroauto – trotz oder gerade wegen der technischen Grenzen – vom notwendigen Transport zu einer kurzweiligen Reise werden, die ich auch jetzt wieder entspannt genieße.
Zufallsbekanntschaften
Parchim ist etwa 160km von Berlin entfernt und gehörte für mich bisher zu den Orten, die ich nur von der Autobahnbeschilderung kannte. Das ändert sich nun, wo mir die Parchimer Stadwerke „Vertraute Energie“ in Form einer RWE-Ladesäule neben ihrem Stadthaus anbieten. Die 22kW Leistung laden den Akku in etwa 50 Minuten. Zeit genug, sich die nette kleine Innenstadt anzuschauen und den dort gelegenen Özdemir-Grill zu besuchen, der einen wirklich leckeren Döner anbietet (auch vegetarisch) sowie eine Möglichkeit zum gepflegten Händewaschen.
Meiner Meinung nach hat die Stadt damit alles richtig gemacht. Sie bietet ohne großen Aufwand Ladeinfrastruktur an und wird damit für die wachsende Zahl von Elektromobilisten ein mögliches Ziel, sei es auf der Durchfahrt, zum Einkauf oder zum längeren Aufenthalt.
Das können Autos aus Schwerin und aus der Müritz sein. Auch Wismar, Rostock oder Hamburg liegen in Entfernungen, die mit heutigen Elektroautos erreichbar sind. Nur eben nicht Berlin und schon gar nicht via Autobahn.
Na, so ganz stimmt das nicht. Auf der Rückfahrt sind die Bedingungen günstig (leichter Rückenwind, 21°C, wenig Verkehr). Da reicht der Strom im Akku von Parchim tatsächlich bis Berlin und ich komme mit zwei Ladestopps von Fehmarn bis nach Hause.
Aber erst einmal geht es nun via Schwerin, Grevesmühlen und den Priwall nach Travemünde. Dabei führt der Weg über landschaftlich sehr schöne Strecken, die teilweise wie ausgestorben wirken. Zeitweilig bin ich leise summend ganz allein auf weiter Flur.
Bei der Ankunft auf der Fähre wird dann noch so viel Kapazität angezeigt, dass ich den nördlichsten möglichen Schnellladepunkt auf meiner Strecke ansteuern kann. Weil es mir mehr Spaß macht und die alte Ostseebäderstrecke sentimentale Erinnerungen befördert, meide ich wiederum den schnelleren Weg über die Autobahn.
In Grömitz existiert seit Ostern 2015 eine privat gespendete und öffentlich betriebene Ladesäule, die nur 50km von meinem Ziel entfernt ist. Sie wird mein dritter Ladestopp und bietet mir die Gelegenheit, eine Dreiviertelstunde lang die herrliche Abendstimmung am Jachthafen zu genießen.
Auch hier ist wieder überwiegend privates Engagement die Voraussetzung dafür, dass Fahrer von Elektroautos ein neues Ziel haben. Als ich dort lade, ist ein BMW i3 aus Hamburg ebenfalls dort. Es werden also langsam mehr.
Apropos langsam: Auf Fehmarn ist man leider immer noch nicht weiter mit einer öffentlichen Lademöglichkeit für Elektroautos. Dafür denkt man nun über einen solarbetriebenen Ladeanschluss für Pedelecs nach. Teuer, aber dafür auch sinnlos, meine ich. Die Stadt Haan (hier eine Diskussion über das Thema) hat in diesem Jahr zum Beipiel €40.000 versenkt und eine solche Ladestation für 3 (in Worten: drei!) Fahrräder geschaffen. Gratulation.
Denn Pedelec-Ladegeräte und -Akkus sind nun wirklich in der Regel für eine Ladung über Nacht in der Unterkunft gedacht. Was soll da ein Ladestopp unterwegs an einem bestimmten Punkt für einen Sinn machen, wenn wirklich jede Steckdose eine gleichwertige Alternative bietet? Selbst ein Langstreckenfahrer könnte an jedem Eisverkaufsstand seinen Pedelec-Akku in anderthalb Stunden auf 50% aufladen.
Für Elektroautos mit einem erheblich größeren Strombedarf gilt das eben nicht. Sie brauchen physikalisch bedingt Anschlüsse mit drei Phasen à 400 Volt und mindestens 32A, um in einer akzeptablen Zeit laden zu können. Heiligenhafen, der nächstgelegene Ort auf dem Festland, ist nun immerhin auch schon mit zwei 11kW Ladeanschlüssen ausgestattet, was für alle Fahrzeugtypen die sichere Ladung mit ein- bis dreimal 16A Wechselspannung ermöglicht.
Wäre doch gelacht, wenn sich ausgerechnet Fehmarn mit einer Stromproduktion aus Wind, Sonne und Biomasse, die den Verbrauch auf der Insel beinahe um den Faktor 5 übersteigt, keinen Ladeanschluss für Elektroautos leisten könnte. Hier würden Elektroautos am Inselnetz mit regional erzeugtem, 100% CO2-freiem Strom versorgt! Ich habe daher in diesem Jahr schon verschiedene Gespräche mit Geschäftsleuten auf der Insel geführt und bin optimistisch, dass sich vieleicht bis 2016 etwas tun wird. Ein sehr günstiger Standort am Ortseingang von Burg böte ideale Voraussetzungen für die erste(n) Ladebox(en): Eine große Photovoltaik-Fläche, viele Einkaufsmöglichkeiten, Restaurants und Attraktionen in Laufweite.
Das Laden meines etwas wählerischen Elektro-Prinzesschens am 230V-Netz des Campingplatzes erweist sich nämlich trotz aller Bemühungen des Eigentümers wieder als schwierig. Zumindest, wenn man die 16A der blauen CEE-Steckdose ausnutzen möchte.
Schließlich lade ich jeweils mit etwas geringerer Stromstärke, zwar etwas unwirtschaftlicher wegen höherer Ladeverluste, dafür aber ohne Abbrüche. Bei rund 25km täglich im Durchschnitt ist das ja auch nur alle drei bis vier Tage nötig.
Fazit
Wem der Weg das Ziel ist, hat auf Langstrecken auch Spaß mit dem Elektroauto. Wer es eilig hat, muss eben leider noch fossil fahren. Wer Wohnmobil oder Wohnwagen nutzt, kennt aber immerhin das schöne Gefühl, sich um die Reisegeschwindigkeit keine Sorgen und keinen Streß machen zu müssen.
Mir ist aufgefallen, dass mehr Menschen das Elektroauto als solches wahrnehmen. Es kommt nun häufiger mal vor, dass jemand ruft: „Guck mal, ein Elektroauto!“ Erstaunlich ist, dass vor allem Kinder und Jugendliche oft ihre Eltern darauf aufmerksam machen. Für sie ist diese Antriebsart offenbar etwas Neues, aber keinesfalls so Fragwürdiges wie für die Älteren. Vielleicht wird die junge Generation bald genauso verwundert über ein Motorengeräusch bei Autos sein, wie sie es schon jetzt bei der Vorstellung ist, man könne sich ohne ein Handy verabreden.
Bei kurzen Gesprächen, die sich zum Beispiel beim Laden, auf der Fähre oder bei ähnlichen Gelegenheiten ergeben, konnte ich zweierlei erfahren:
Die Informationen über Elektroautos sind geprägt von der Vorstellung, dass man damit nur in Städten fahren kann. Diese Vorstellung spiegelt so ziemlich die Meinung in der Boulevardpresse wieder.
Ungläubiges Erstaunen ist die Reaktion, wenn mal jemand völlig andere Informationen vermitteln kann.
Ist dieser Jemand offensichtlich weitere Strecken mit einem Elektroauto unterwegs, wird er dann jedoch in dieselbe Kategorie Mensch einsortiert, wie die Fahrer anderer eher ungewöhnlicher Fortbewegungsmittel auf Langstrecken. Auf Rollschuhen durch Deutschland, per Fahrrad durch Europa, im Faltboot über den Atlantik oder mit dem Oldtimer um die Welt scheint auf einem ähnlichen Niveau zu rangieren, wie mit einem Elektroauto acht Stunden hintereinander nach Berlin zu fahren. Normal ist das jedenfalls (noch) nicht. „Tapfer“, meinte jemand. Alle, die gerne mal mit dem Motorrad, dem Caravangespann oder auch zu Fuß unterwegs sind, werden dagegen einen Weg ohne Fokus auf die Reisegeschwindigkeit wohl als wesentlich weniger exotisch empfinden.
Auf der ganzen Reise habe ich nur das eine Mal ein Elektroauto gesehen. Es parkte in Grömitz nahe der Ladesäule und war aus Hamburg.
Es ist bei der geringen Präsenz dieser Fahrzeuge daher natürlich nicht so verwunderlich, dass Handel und Tourismus sich derzeit eher um ihre klassischen Aufgaben und Angebote kümmern. Eine zunehmende Anzahl von Geschäftsleuten ist jedoch sehr aufgeschlossen, wenn man sie auf Ladeinfrastruktur anspricht. Alles scheint davon abzuhängen, dass man ihnen Möglichkeiten nennt und erklärt, die eine überschaubare Investition darstellen.
Leider trägt die unsachliche Berichterstattung in vielen Medien und die von Konzerndenken geprägten Konzepte der deutschen Hersteller nicht so sehr zur Unterstützung und Information bei. Hier braucht es neutrale Beratung und auch die Bereitschaft der Hersteller, sich am Aufbau einer Gleichstrom-Ladeinfrastruktur zu beteiligen, wenn sie ihre Fahrzeuge ohne teure Ladegeräte für Wechselstrom bauen wollen. Das ist sicherlich langfristig die vernünftigste Lösung, erfordert aber auch gleichzeitig die größten Investitionen in die öffentliche Ladeinfrastruktur und wird daher am längsten dauern. Für die schnellere Verbreitung der Elektroautos sollte es daher für alle Modelle bezahlbare Wechselstrom-Schnelllader als Sonderausstattung geben, die die Nutzung des flächendeckend verfügbaren Wechselstromnetzes ermöglicht.
Dann können endlich auch andere Fahrer, wenn sie es denn wollen, in den Genuß kommen, Ihr Elektroauto für die Urlaubsreise zu benutzen – und gleich an der Haustür mit der Erholung beginnen.