Fremdgefahren!

Mal anders elektrisch mobil. Sonst lädt hier in Grömitz immer die ZOE...
Mal anders elektrisch mobil. Sonst lädt hier in Grömitz immer die ZOE…

So schön und entspannend das elektrische Fahren mit dem Auto auch ist, die Figur wird dadurch nicht unbedingt besser. Im Gegenteil: Um Ladepausen zu überbrücken, wird schon gerne mal das „Restaurant zum goldenen M“ aufgesucht oder der freundliche türkische Mitbürger mit dem leckeren Döner… Da liegt es nahe, sich in den und in dem dringend benötigten Sommerurlaub mal etwas aktiver zu bewegen.

Nicht ohne meine Technik

Aber so ganz ohne Elektromotor möchte man dann doch nicht unterwegs sein. Ich jedenfalls nicht. Und da enstand die Idee, An- und Rückreise zum, beziehungsweise vom Urlaubsort an der Ostseeküste diesmal mit dem eBike zu bewerkstelligen. Trotz skeptischer Bemerkungen und Blicke von Freunden und Verwandten wurde ein geeignetes Fahrzeug gefunden, die Ausrüstung zusammengestellt und eine mögliche Fahrtroute geplant.

Um es vorwegzunehmen: Es wurde eine sehr schöne Reise, rund 1000km durch beeindruckende Landschaften und hübsche Orte, über recht unterschiedliche Wege, die mitunter durch besondere Ausblicke überraschten oder auch mal nervten, weil sie kilometerlang geradeaus durch wenig abwechslungsreiches Gelände führten. Die besonderen Eigenschaften des eBikes waren allerdings für den Spaß nicht unbedingt ausschlaggebend. Natürlich hätte ein anderes ordentliches Tourenrad dieselben schönen Erlebnisse möglich gemacht. Allerdings half die zusätzliche Leistung von Motor und Akku, die Reisezeit zu verkürzen und die tägliche Fahrstrecke zu verlängern.

Ende des zweiten Tages im Fahrradsattel (Hier nicht im Bild: Das schmerzende Sitzfleisch)
Ende des zweiten Tages im Fahrradsattel (Hier nicht im Bild: Das schmerzende Sitzfleisch)

In jedem Fall aber geben die Erfahrungen mit dem eBike genügend Anlass, sie an dieser Stelle auch anderen Interessierten zugänglich zu machen – und natürlich wieder einmal, um ein wenig zu klugscheißern…

Grundsätzliches und Gesetzliches

Bosch Mittelmotor mit Akku
Bosch Mittelmotor mit Akku

Die zusätzliche Leistung erhalten eBikes bekanntlich durch Elektromotoren, die bei aktuellen Konstruktionen in der Hinterradnabe, in einem Gehäuse zwischen den Tretkurbeln oder in der Vorderradnabe untergebracht sind. Die Aktion des E-Motors wird durch eine Elektronik geregelt, die von Sensoren an der Tretkurbel Werte für Kraft und Weg übermittelt bekommt und die je nach gewählter Unterstützungsstufe dann mehr oder weniger Energie an den Motor schickt.

Vereinfacht gesagt: Je stärker und schneller in die Pedale getreten wird, desto mehr Leistung gibt der elektrische Antrieb also noch dazu. In der niedrigsten Unterstützungsstufe „Eco“ sind das zum Beispiel um die 50%, in der höchsten Stufe „Turbo“ so um die 250%.

Damit das Ganze rechtlich ein Fahrrad bleibt, ist bei 25km/h Schluss mit der elektrischen Unterstützung. Wer schneller fährt, macht das dann ausschließlich mit Muskelkraft, Gefälle und Rückenwind. Oder es handelt sich um ein S-Pedelec mit Unterstützung bis 45km/h, das dann jedoch als Kraftfahrzeug gilt, und das zum Beispiel ein Versicherungskennzeichen braucht und nur mit gültigem Führerschein sowie Helm auf der Straße gefahren werden darf. Radwege und Bahntransport sind dafür ebenfalls tabu.

Die Grenzen der Motorunterstützung sind jedoch nicht nur vom Gesetz bestimmt, sondern ganz entscheidend auch durch die Physik: Maximale Leistung und Arbeit des Antriebs hängen von seiner Bauweise und von der Akkukapazität ab. Verbreitet sind heute Motoren mit 250 Watt Leistung und Akkus mit 500 Wattstunden Kapazität. Wie weit man damit kommt, ist beim eBike fast noch schwerer zu beantworten, als beim Elektroauto. Für Bosch-Motoren bietet deren Reichweiten-Assistent eine ziemlich exakte Voraussage, welche Strecke man schaffen kann, und vermittelt sehr praxisnah, welche Eigenschaften von Fahrer, Bike und Strecke die Reichweite verlängern oder verkürzen. Die geringere oder höhere Unterstützung spielt dabei natürlich die größte Rolle, Fahrtwind und Steigungen potenzieren den Energieverbrauch ebenfalls beträchtlich.

Während der Akku lädt, wird immer auch der Fahrer vorzüglich versorgt
Während der Akku lädt, wird immer auch der Fahrer vorzüglich versorgt

Auf meiner Fahrt waren etwas unter 100km täglich mit der Einstellung „Eco“ gerade so zu schaffen. Bei Etappen von 130km und mehr musste während der Mittagspause eine bis eineinhalb Stunden nachgeladen werden. Das klappte aber immer problemlos, wenn man den Wirt oder die Wirtin nett fragte.

Schnellladen ist übrigens beim eBike nicht vorgesehen. Der 500 Wattstunden Akku ist zum Beispiel erst nach 4,5h vollständig aufgeladen.
Mit dem etwas leichteren und kleineren Reiseladegerät benötigt man dafür sogar über sieben Stunden.

Wer braucht denn so etwas?

Die Frage müsste wohl eher lauten, wem ein eBike nützlich sein kann. Die Möglichkeiten, die sich bereits mit einem traditionellen Fahrrad bieten, sind ja schon mal bemerkenswert und einzigartig: Man kann Strecken befahren und kommt mit akzeptablem Aufwand an Orte, die sich zu Fuß oder mit dem Auto nicht so einfach oder überhaupt nicht erreichen lassen. Dabei sind sportliche Bewegung, schöne Umgebung und gesunde Luft eine positive Begleiterscheinung vieler Radwege, vor allem, wenn man nicht in der Hauptverkehrszeit neben LKW und Bussen herumstrampeln muss.

Schöne Wege für Radler an der Ostseeküste - hier der Herr ohne, die Dame mit Motor
Schöne Wege für Radler an der Ostseeküste – hier der Herr ohne, die Dame mit Motor

Nun stellt jeder Radfahrer relativ schnell fest, dass erstens der Wind immer von vorn kommt und es zweitens eigentlich meistens bergauf geht. Das kann dann schnell lästig werden und dem Fahradfahrer mehr Leistung abverlangen, als er bereit ist zu geben. So leistet man beim gemütlichen Radeln vielleicht 60 bis 80 Watt an der Tretkurbel. Bei leichtem Gegenwind und einer sanften Steigung sind das eventuell auch mal 120 Watt. Schließlich würde man einen anderen Gang wählen und gegebenfalls auch etwas langsamer fahren, wenn die Anstrengung zu groß wird. So pegelt sich die inviduelle Leistung bei einem bevorzugten Wert ein.

Überraschender Weise verhält sich das mit dem eBike eigentlich genauso. Die Leistung an der Kurbel bleibt im wesentlichen gleich, ob man nun alleine tritt oder der Motor mithilft. Nur dass man in der Regel mit dem eBike bei gleicher Anstrengung etwas schneller fährt als ohne Motor, also statt vielleicht 15 bis 17 km/h im Durchschnitt auf einer längeren Tour, dann mit 20 bis 23 km/h. Denn je nach Unterstützungslevel legt der E-Motor ja lediglich ein paar Watt drauf. Treten und eine gewisse Leistung bringen, muss man erst einmal selbst. Alternativ kann man natürlich auch bewusst langsamer fahren und gegenüber dem normalen Fahrrad seine Belastung reduzieren.

Das eBike nützt also demjenigen, der aus verschiedenen Gründen nur eine begrenzte Leistung erbringen kann oder will und vom elektrischen Teil des Fahrrades zusätzliche Leistung benötigt. Es lassen sich damit also ganz hervoragend zum Beispiel die unterschiedlichen Fähigkeiten von gemeinsam radfahrenden Menschen ausgleichen und anpassen. Oder man kann die Strecke verlängern, die auf einer Tour an einem Tag zurückgelegt werden kann. Ebenso ist es natürlich möglich, flott unterwegs zu sein, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Das eigentlich Interessante am eBike ist aber, dass auch alles zusammen geht. Sogar sportlich zu fahren und seine persönliche Leistung zu verbessern, ist eine mögliche Option.

Konnektivität!

Den systematischen Anreiz dazu gibt beim Bosch-Antrieb das NYON, eine Art Bordcomputer, der nicht nur alle Daten aus dem Motor verarbeitet, sondern auch noch die GPS-Postition ermittelt und Karten sowie Orte und Routen zum Navigieren bereithält. Das NYON arbeitet eng mit dem Handy und mit WLANs zusammen und funkt alles zu einem persönlichen Profil auf der ebike Connect Website. Auf dieser Website kann man außerdem seine Routen planen, im- und exportieren und sogar sehen, wo man war und welche Strecken man in welcher Höhe wie schnell zurückgelegt hat. Auch die dabei zusätzlich verbrannten Kalorien und Durchschittswerte für alle möglichen gemessenen Größen werden angezeigt (weiter unten, hier nicht im Bild).

Streckenprofil Ostseeradweg
Streckenprofil Ostseeradweg

Wer scharf darauf und ausreichend exhibitionistisch veranlagt ist, kann alles auch noch mit einem Klick auf seiner eigenen Facebook-Seite veröffentlichen. Für alle anderen bleibt dies immerhin ein Tagebuch, das die eigenen Fahrten und Leistungen auflistet. Und wer Spaß daran hat, kann eine schöne Strecke, die er vielleicht zufällig gefunden hat, mit einfachen Werkzeugen zu einer gespeicherten Route machen und dann später wieder einmal fahren oder sie mit anderen teilen.

Während der Fahrt erhält man am NYON neben der Geschwindigkeit, den zurückgelegten Kilometern und der verbleibenden Reichweite usw. natürlich auch die Position und Hinweise zum Abbiegen sowie die Distanz zum Ziel oder die Ankunftzeit. So ist man das ja auch aus dem Auto gewohnt. (Das geht natürlich beim klassischen Fahrrad mit dem Handy und einer geeigneten App ebenso gut – zum Beispiel mit komoot. Eine weitere, sehr klevere und umfangreiche Lösung inklusive App bietet übrigens auch die Firma cobi.)

Leider hatte gerade beim Navigieren das NYON auf dem ersten Teil der Fahrt massive Probleme und glänzte mit Abstürzen und nutzlosen Fehlermeldungen. Erst ein Update der Software brachte Besserung – aber so ganz optimal ist dieser Teil des Systems immer noch nicht. So fehlen zum Beispiel wichtige Bahnhöfe als „Interessante Orte“ für die Zieleingabe und die Möglichkeit, Routen auch mal in der umgekehrten Richtung befahren zu können. Also durchaus noch ausbaufähig, dieser Teil des grundsätzlich sehr schönen Systems.

James, watt ham wa heute denn schon so verbrannt?
James, watt ham wa heute denn schon so verbrannt?

Was das NYON am Bosch Antrieb zusätzlich und ziemlich exklusiv verarbeiten kann, sind die Leistungsdaten des Fahrers und sogar seine Herzfrequenz, wenn man einen optionalen Brustgurt verwendet. Ausgehend von persönlichen Angaben zu Alter, Gewicht, sportlicher Aktivität usw. zeigt ein Bildschirm die Auswirkungen der aktuellen Fahrt auf die Fitness an.
Bei mir haben sich die Einschätzungen des Systems und die positiven Veränderungen meiner Konstitution durchaus gedeckt – und mich zur Fortsetzung angespornt.

Na gut, mit einem normalen Fahrrad hätte man das wohl auch am eigenen Leib und in seinen Muskeln gespürt… Aber hier bekommt man es schwarz auf weiß und in Farbe!

Mein Fazit zum eBike

Das eBike macht Spaß. Fahrradfahren auch. Man kann damit sehr schöne Touren machen, schnell mal etwas erledigen und das Auto hin und wieder ersetzen. So wie mit dem Fahrrad. Die Fitness verbessert sich damit spürbar. Das wäre ohne Motor sicherlich nicht viel anders. Die zusätzlichen Möglichkeiten des Bosch-Antriebs zusammen mit dem NYON halte ich persönlich für sehr motivierend und überaus praktisch. Aber das ist überwiegend Geschmackssache und auch anders zu erreichen.

In der Nutzung ist das eBike sehr einfach zu handhaben und leicht verständlich zu bedienen. Es wiegt deutlich mehr als konventionelle Fahrräder, was für die Fahrt mit der Bahn und gelegentliche Hindernisse eine Rolle spielen kann. Es kostet in der Anschaffung recht viel und ist vermutlich auch stärker von der Gefahr eines Diebstahls bedroht. Das schränkt die geschäfliche Nutzung in der Stadt leider wieder etwas ein. Ein sicherer Platz zum Anschließen, möglichst auf dem Grundstück des Kunden, und ein schweres Schloss sind Pflicht.

Wer also bereits ein ordentliches Rad besitzt und damit gut zurechtkommt, der wird kaum einen Grund haben, sich ein eBike anzuschaffen. Wer allerdings ohne Fahrrad ist und das Radfahren wegen des „inneren Schweinehunds“ oder gesundheitlicher Einschränkungen bisher vermieden hat, der sollte darüber nachdenken. Es könnte die Motivation und die Unterstützung liefern, die für die gesunde Bewegung in der Natur bei dem einen oder der anderen nötig sind – oder es wird ein sehr teures (weiteres) Utensil im Keller…

Aus Sicht des Elektroautofahrers ist das eBike leider ein „entweder-oder“, denn es gibt meines Erachtens keine sinnvoll nutzbare Transportvorrichtung, die die Mitnahme von ein oder zwei eBikes am Elektroauto möglich macht. Mit 50 bis 60 kg am Heck und im Fahrtwind brauche ich mit dem E-Auto eigentlich gar nicht erst loszufahren, sondern kann gleich von Anfang an das eBike nehmen. Besser, billiger und praktischer ist es dann sowieso, man steigt mit dem oder den Rädern in den Zug und kann Start und Ziel relativ frei bestimmen.

In diesem Sinne: Ich hoffe, man sieht sich mal unterwegs auf einem schönen Radweg. Mit oder ohne Motor.

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