Gretel, Kasperle und das Dieselfahrverbot

Maischberger: Sendung vom 13.02.2019 (Quelle: WDR / Max Kohr

So liebe Kinder, seid ihr alle da?

Vorhang auf zu einem gar gruseligen Stück in Form einer Sprechrunde zur Glaubensfrage „Geht der Umweltschutz zu weit?“

Es spielen mit:

Sandra Maischberger als „Die Moderatorin“ (3. von links)
Marin Ivankovic als „Der Dieselfahrer“ (2. von rechts)
Mai Thi Nguyen-Kim als „Die Wissenschaftlerin“ (2. von links)
Franz Alt als „Der alte Weise“ (3. von rechts)
Wolfgang Kubicki als „Der Politiker“ (ganz links)
Ulf Poschardt als „Der junge Wilde“ (ganz rechts)
und last not least, Barbara Metz als „Die Klägerin“ (Mitte)

Los geht‘s. Die Moderatorin erläutert das Problem: 100.000e Bürger sind davon bedroht, verunsichert und darüber wütend, dass man ihnen die Benutzung ihres Autos verbietet. Diese etwa 0,2 Prozent der deutschen Autofahrer sind offenbar verantwortlich für die hohen Stickoxidwerte in vielen Städten, denn man untersagt ihnen nun, ihr Fahrzeug dort weiter zu nutzen. Das erscheint ungerecht. Auch etwas wirkungslos. Aber 0,2 Prozent Betroffene…. Mein Gott, bei der nächsten Wahl fallen die doch überhaupt nicht ins Gewicht.

Jedoch wir sind in Deutschland. Hier geht es um das Prinzip. Und da stellt sich die Frage, ob einer so abstrakten Sache wie der Umwelt überhaupt die Freiheit des Einzelnen, der Wohlstand und der Spaß an der Freude geopfert werden darf.

Die Sache ist die: Da ist ein schwer arbeitender Vater, also einer, der die demographische Verödung der deutschen Bevölkerung durch seine drei Kinder aufzuhalten vermag, der um „den Standard“ zu erhalten, ein teures deutsches SUV kauft, um seine Kinder allmorgendlich den besten, aber leider weit entfernten Kindertagesstätten zuzuführen, und dieser Held wird mit Strafe und Punkten und privatem Konkurs bedroht, weil…. ja, weil eine selbsternannte „Hilfs“-Organisation in gemeiner, hinterlistiger Weise das deutsche und europäische Recht nutzt und die Städte dazu zwingt, Dieselfahrverbote zu verhängen.

Verzweiflung, Entrüstung und Widerspruch. Doch der alte weise Mann beruhigt. Das könne ja niemand wirklich kontrollieren, das Fahrverbot. Alles halb so schlimm. Einfach gar nicht ignorieren, das.

Irritation. Jeder hatte auch schon solche Gedanken. Rote Ampel? Weit und breit niemand in Sicht? Was soll’s, einfach rübergehen! Oder „Brauchen Sie eine Rechnung?“ Wer soll das denn kontrollieren? Einfach cash blechen und „Ich zahle sowieso genug Steuern!“ denken.

Aber so geht es natürlich nicht. Gesetz ist Gesetz. Der Politiker, der auch Jurist ist, schmunzelt (wiederholt) in sich hinein. Später, wenn alle sich heiß diskutiert haben und jeder den anderen niederer Absichten beschuldigt hat, wird er die Bombe platzen lassen. Verhältnismäßigkeit! Das Gesetz muss verhältnismäßig angewandt werden. Sagt Europa jetzt auch. Die Fahrverbote werden sicher bald kassiert. Die ganze Diskussion daher überflüssig. Weil es verhältnismäßig ok ist, wenn man einen Grenzwert so ungefähr einhält. Es geht ja ums Prinzip und im Prinzip wird doch alles besser.

Ja, sagt der junge Wilde. Er habe ein Buch geschrieben – er nennt Titel und Verlag, spart sich aber die ISBN-Nummer, Seitenzahl und Kaufpreis. Und darin stehe schwarz auf weiß, dass Geschwindigkeit, Beschleunigung und perfekte Spaltmaße (an der Autokarosserie!) ein männliches, äh… menschliches Grundbedürfnis seien. Porschefahren sei quasi ein Menschenrecht. Das dürfe man nicht in Frage stellen. Natürlich liebe auch er Kinder, alte Menschen, Kranke und Behinderte. Aber die könnten doch auch dort atmen, wo die Luft nicht voller NOX ist und er hält einen Zettel hoch, auf dem offenbar eine Messstelle mit ganz prima Werten genannt wird.

Er wolle doch nur spielen, sag er. Auf ein paar Kilometern Autobahn ohne Tempolimit. Das sei doch wohl nicht zu viel verlangt. Dafür würde er in der Nähe seines Verlagshauses durchaus auch Fahrradwege und Fahrradständer befürworten. Weg mit den Parkplätzen in der Straße vor dem Verlag! Da stelle er sein Auto sowieso nicht ab, schon wegen möglicher Kratzer durch die verschiss…. äh, lieben Kollegen, die ihre Kindertransportfahrräder durch die Lücken zwischen den Autos quetschen.

Spaß müsse erlaubt sein. Und die säuerlich moralisierende Abzockerbande, die sich Umwelthilfe nennt und von der amerikanisch/japanischen Autoindustrie geschmiert wird, die wolle uns Spaß und Wohlstand nehmen.

Den Wohlstand, den die „ach so böse“ Autoindustrie in Deutschland überhaupt erst ermöglicht habe! Sie sei in Wirklichkeit der Garant für soziale Gerechtigkeit und Fürsorge. Und sie tue so viel dafür, immer sauberererere Autos zu bauen. Allerdings auch immer teurererere. Und ok, bei 300 Sachen auf der tempounlimitierten Autobahn misst auch niemand NOX-Werte am Auspuff der vorbeiröhrenden Boliden. Aber in der Stadt bei 23°C, konstant 50 km/h und leichtem Gefälle reinigt ja jeder moderne Sechszylinder quasi sogar die vorn eingesaugte Luft und entlässt sie deutlich besser riechend am anderen Ende, oder?

Das sieht die Klägerin deutlich anders. Seit vielen Jahren wüssten alle Beteiligten um den Grenzwert und schauten in aller Seelenruhe zu, dass irgend jemand anders das Problem löse. Sie, die Deutsche Umwelthilfe, hätten lediglich und ebenfalls seit längerem festgestellt, dass weder die Autos noch die Städte die Messwerte liefern würden, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Die Gerichte hätten das lediglich bestätigt und die Städte eben mit Fahrverboten reagiert. Ob das tatsächlich hilfreich sei oder gerecht, stehe auf einem ganz anderen Blatt. Sie fühle mit allen, die durch diese Maßnahmen betroffen sind, habe aber vor allem das Wohl derer zum Ziel, die unter der Verschutzung der Luft leiden, also vor allem Kranke, Kinder und alte Menschen.

Fragwürdige Messwerte und willkürliche Grenzwerte, kontert der junge Wilde sofort. Ein moralisierender grüner Abmahnverein, der Säuglinge, Greise und vielleicht sogar auch noch Katzenbabys als Vorwand nutze, um sein Businesskonzept zu ermöglichen. Man könne ja auch mal so eine Messstelle in eine ruhige Seitenstraße stellen, als dorthin, wo so viele Autos fahren.

Nee, nee, sagt da die sehr ernste Wissenschaftlerin. Schließlich würden ja auch alle Autofahrer in den Autos die Stickoxide einatmen, nicht nur die Anwohner. Schließlich seien ja Kinder, Alte und Kranke durchaus mal Insassen in den Fahrzeugen.

Betretenes Schweigen. Auch IN den Autos gibt es Stickoxide? Es ist nicht nur ein Problem der Unterprivilegierten, also der Fußgänger, Radfahrer, Kinder, Alten, Kranken und Behinderten, sondern auch echter Menschen? Vorwurfsvolle Blicke richten sich auf den Dieselfahrer. Der betrachtet konzentriert seine Schuhe.

Der alte Weise bricht das Schweigen und vermittelt. Er könne den jungen Wilden und den Familienvater gut verstehen. Früher wäre man ja auch so gewesen. Aber die deutsche Autoindustrie wäre heute nicht bereit, Elektromotoren in neue Modelle einzubauen, wenn es die erst durch die Umwelthilfe ausgelösten Diskussionen über die Dieselfahrverbote nicht gäbe. Wir hätten seit langem schon keine Verkehrsminister, sondern nur Autominister. Das Auto selbst sei aber das Problem. Es habe immerhin seit 1950 weltweit wesentlich mehr Menschen getötet, als im zweiten Weltkrieg gestorben seien. Die Politik habe versagt, rechtzeitig und zum Wohle auch des einzelnen Menschen ein Konzept für den Verkehr zu schaffen und die Bedingungen für die Industrie zu setzen, damit diese die richtigen Produkte anbieten muss. (Der Politiker sagt erst mal nichts. Es ist immer besser, nichts zu sagen, bevor man was Falsches sagt.)

Besonders gelte das für die Autokratie in Deutschland, die die Demokratie verdrängt habe, wettert der alte Weise weiter. Wie wäre es sonst zu erklären, dass kommunale Verwaltungen Elektroautos in Frankreich kaufen müssten, statt auch in Deutschland ein Angebot dafür zu haben? Die deutsche Autoindustrie habe also auch versagt.

Das könne gar nicht sein, kontert der junge Wilde. Seine Kollegen in der ganzen Welt würden ehrfurchtsvoll und mit Tränen der Rührung in den Augen stets die Perfektion deutscher Autos und deutscher Autokonzerne bewundern. Und es sei ja schließlich auch eine ziemlich erstaunliche Leistung, alle Welt mit Schummelsoftware so lange hinters Licht zu führen. Er sei höchstpersönlich in Wolfsburg gewesen und habe die neuen elektrischen Modelle von VW gezeigt bekommen. Die sähen sogar äh.. „ganz gut“ aus. (Man sieht ihm allerdings seinen Ekel an bei der Vorstellung, er müsse in so einem Gefährt auch fahren. Nur mit Mühe gelingt es ihm, nicht auf den Teppich zu kotzen.)

So geht es hin und her und immer weiter. Die sachlichen Argumente besonders zu Grenzwerten und Statistiken werden von den weiblichen Expertinnen geäußert, können die jüngeren männlichen Teilnehmer, die vor allem ihre emotionale Seite und ihre Verletzlichkeit zeigen, aber nicht überzeugen. Da stehen die wissenschaftlich belegten Fakten und der Glaube an die Würde des Mannes unversöhnlich gegenüber.

Dazwischen der alte Weise, der kopfschüttelnd aber besonnen die Politik und die Vernunft beschwört. Und der Politiker, der lieber die Klappe hält und über die hübschen, jungen Dinger schmunzelt, die sie links und rechts von ihm platziert haben, einen netten optischen Rahmen bietend, die für ihn alten Hasen aber keinerlei Bedrohung bedeuten. Er lächelt sie süffisant in Grund und Boden – wie immer. Was sind schon Argumente, wenn man eine Meinung hat? Man muss nur die richtigen Fakten kennen, hin und wieder durch eine treffende Bemerkung die Kompetenz der Gesprächspartner(innen) in Frage stellen und an den richtigen Stellen schweigen. Ein Profi halt.

Etwas hektisch, aber sichtlich erleichtert, beendet die Moderatorin schließlich pünktlich die Sendung. Eine Lösung des Problems jedoch wurde nicht gefunden. Die eingangs gestellte Frage bleibt unbeantwortet. Und der Dieselfahrer sieht einer ungewissen Zukunft entgegen. Wahrscheinlich wird er seine drei Kinder zur Adoption freigeben müssen, weil er sie ab April nicht mehr mit dem SUV zum Kindergarten bringen kann.

Alle Mitwirkenden begeben sich zum Parkplatz und verknallzündern noxend, feinstaubend und die Atmosphäre aufheizend nach Hause. Bis auf den alten Weisen vermutlich. Der nimmt spät in der Nacht noch eine der zwei Dutzend vollelektrischen täglichen IC-Verbindungen in die Millionenmetropole Baden-Baden.

Im Studio wird es dunkel. Der Feinstaub legt sich. Ein Katzenbaby hustet in der Stille.

Die Sendung vom 13.02.2019 ist in der Mediathek des Ersten verfügbar. (Stand 15.02.2019)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert