Dass ein aktuell verfügbares Elektroauto sich für die Stadt eignet, wird wohl kaum noch jemand bezweifeln. Skeptische Blicke aber erntet man, wenn die Urlaubsreise damit erfolgen und die geplante Fahrt über mehr als 400 Kilometer weit von Berlin nach Fehmarn führen soll.
Um es gleich zu Beginn zu sagen: Ja, das geht ganz prima und sogar besser und schneller als gedacht. Das hervorragende Verzeichnis der Stromtankstellen von GoingElectric.de war in der Vorbereitung dabei die Grundlage für die Routenplanung.
Reisen in Raten
Die erste Etappe soll bis Neustrelitz führen, wo das Landeszentrum für Erneuerbare Energien Mecklenburg-Vorpommern GmbH LEEA seit April über eine 22kW Ladesäule verfügt. 110 Kilometer lang ist die Strecke: Ein kleiner Teil davon über die Autobahn, der Rest über die B96. Zur Not wäre in Neubrandenburg beim Elektrogroßhandel OBETA eine weitere Lademöglichkeit. Das war es dann aber auch schon in der erreichbaren Umgebung.
Danach geht es weiter über Landstraßen etwa 125 km weit nach Rostock. Dort verfügt die Stadtverwaltung über eine Ladesäule. Alternativen dazu gibt es unter anderen in zwei privaten Parkhäusern, an einer weiteren Säule von RWE und im Technologiepark Warnemünde.
Der nächste Abschnitt endet nach 111 km an der Lübecker Bucht in Timmendorfer Strand. Auch dort gäbe es weitere Säulen im angrenzenden Scharbeuz oder auch in Lübeck. Anschließend sollte Fehmarn von dort aus nach knapp 70 km problemlos zu erreichen sein.
Nordwärts!
Die anfänglich angezeigten 135 km Reichweite werden schon nach wenigen Minuten nach oben korrigiert, als sich die ZOE zwischen 70 und 90 km/h auf Autobahn und Landstraße relativ gleichmäßig bewegt. Dabei hilft natürlich die Eco-Taste mit, die die Motorleistung und die Höchstgeschwindigkeit auf ein sparsames Maß reduziert. Schließlich will man ja in erster Linie mal ankommen.
Dennoch geht das Fahren flott und es entsteht vor allem auf der Landstraße nicht der Eindruck, man sei ein Verkehrshindernis. Ein wenig vergleichen lässt sich das Fahrgefühl mit dem bei einem Gespann aus Auto und Wohnwagen. Wer es kennt, weiß, wie entspannt man fährt, wenn 100 km/h die maximal erlaubte Geschwindigkeit ist. Plötzlich fällt der selbst erzeugte Zwang von einem ab, so schnell wie möglich sein Ziel zu erreichen.
Auch jetzt, wo es auf das sichere Erreichen des Ladepunktes ankommt, wird die Dauer der Fahrt weniger wichtig. Und schon stellt sich ein entspanntes Gefühl ein, das die Fahrt zu einem Genuss macht. Zudem erscheint sie wegen der abwechslungsreichen und schönen Strecke durch Alleen, Felder, Ortschaften und Waldgebiete eher kürzer als auf der oft monotonen Autobahn. Nach einer regelrechten Spazierfahrt ist das erste Ziel in knapp 90 Minuten erreicht.
Strategische Positionierung
Auch der erste Ladestopp ist ein sehr angenehmes Erlebnis. Nach einem freundlichen Empfang beim LEEA ist die Säule rasch freigeschaltet und die Ladung läuft. 45 Minuten veranschlagt die Elektronik für das Auffüllen des Akkus. Äußerst erfreulich!
Man muss einmal deutlich hervorheben, wie wichtig diese Lademöglichkeit für die Berliner Elektromobile ist. Auf halber Strecke zur Ostsee macht erst sie es möglich, den Norden in durchaus akzeptabler Zeit zu erreichen. Allerdings muss das Fahrzeug natürlich auch mit 22kW Wechselstrom etwas anfangen können.
Es bleibt weiterhin ein Rätsel, wieso nicht alle aktuellen Elektrofahrzeuge dafür ausgestattet sind, solche schnellen Stromquellen verwenden zu können. Stattdessen degradiert man vorzüglich konstruierte Autos mittelfristig zu Stadtfahrzeugen, die eine Nacht zum Laden brauchen oder einen teuren Generator mit Benzintank mitschleppen müssen.
Aber das ist nicht ZOEs Problem. Gerade wegen der Vielseitigkeit fiel die Wahl ja schließlich auf sie. Und so kann es nach einem leckeren Kaffee und einem netten Schwätzchen mit den sympathischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LEEA bald weitergehen. Danke an die Verantwortlichen für diese Lademöglichkeit. Manchmal muss man es einfach nur machen.
Eco-Routen
Uups, eigentlich sollte die Ladepause ja zum Programmieren des nächsten Zieles genutzt werden. Stattdessen verging die Zeit bei Kaffee und nettem Gespräch wie im Flug.
Leider muckt jetzt das Navi. Will einen 150 km langen Weg über die Autobahn nehmen. Wo ist denn nur die Einstellung, mit der man einen kürzeren Weg auswählen kann? Ach da: Eco-Route vorschlagen. Na, bitte 126 km hören sich schon besser an. Dennoch warnt das System „Das Ziel ist mit dem vorhandenen Akkustand nicht erreichbar.“ Dies steht jedoch im krassen Gegensatz sowohl zur angezeigten Restreichweite von 163 km als auch zu den bisher gemachten Erfahrungen. Also los!
Erst nach einigen Kilometern gibt das System endlich Ruhe und sieht die Reichweite offenbar positiver. Dafür möchte das Navi aber die schöne Bundesstraße Richtung Waren verlassen. Ok, dann halt rechts abbiegen. Die Strecke wird noch malerischer. Es geht zwischen Feldern entlang und durch kleine Dörfer. Dann eine weitere Kurskorrektur. Oh, nun haben wir eine „Straßenoberfläche“, die den Namen kaum noch verdient. 50 km/h wird die selbst gewählte Höchstgeschwindigkeit, obwohl das Navi beinahe höhnisch das 100er Schild zeigt.
Wenn das eine Eco-Route auszeichnet und es so weitergeht, na dann vielen Dank! Als ein großer Audi entgegenkommt, der auf diesen Plattenweg auch irgendwie nicht hingehört, mildert sich die Skepsis. Vielleicht ist das einfach nur eine schlaue Abkürzung. Und tatsächlich, am Ende des Weges biegt man wieder auf eine Straße mit dem B vor der Nummer. Also, etwas mehr Vertrauen bitte!
Ostseeluft und Strom aus Sonne
Die erste von den drei Hansestädten auf der Strecke erreicht die ZOE mit fast 50 Kilometern kalkulierter Restreichweite. Das ist eine Reserve, die ein sicheres Gefühl erzeugt. Beim Hafen- und Tiefbauamt ist allerdings um mittlerweile 17 Uhr nur noch der Reinigungsservice auf dem Flur. Nein, ein Beamter holt noch Stunden nach, die er vielleicht wegen der WM versäumt hat… Jedenfalls hilft er sofort und versucht einen Kollegen zu finden, der sich mit der Ladesäule auf dem Parkplatz auskennt.
Leider scheint niemand mehr da zu sein. Als die nächste Alternative ins Navi programmiert wird, erscheint jedoch jemand und schließt den Smart ED auf, der ebenfalls an der Säule parkt. Das Problem ist schnell geschildert und er zögert nicht, sofort die Säule frei zu schalten. Nette Leute, diese Rostocker. Auch hier ergibt sich sofort ein freundliches Gespräch. Nur die Säule, sie liefert offenbar statt 22kW nur 3,6kW, wenn man die Restladezeit von über 8 Stunden betrachtet.
Macht nichts, Rostock ist neben seinen schönen historischen Bauten auch gut mit Lademöglichkeiten ausgestattet. Altes und Modernes gehen hier offenbar ganz gut zusammen und schließlich war die Hanse ja seinerzeit auch technisch auf der Höhe. Das Parkhaus am Gericht zeigt dann auch, wie es mit der E-Mobilität gehen kann.
Das Parken kostet 50 Cent in der ersten und €1,50 in den folgenden Stunden. Zwei Mennekes Wallboxen bieten dann auf zwei reservierten Parkplätzen den Strom umsonst an, den die Photovoltaik auf dem Dach erzeugt. Nun, nicht ganz denselben Strom, denn zum Ladezeitpunkt am frühen Abend sind es nur noch 9kW, die aktuell von den Zellen geliefert werden können. Das Auto ist jedoch schon nach knapp 50 Minuten mit 22kW geladen. Da kann man doch nicht meckern. Wie man auf der Anzeige erkennt, ist im Läufe des Tages jedenfalls ausrechend Energie für einige solcher Ladevorgänge ins Netz eingespeist worden.
Die Zeit reicht gerade mal für eine kurze Pause im angrenzenden Park mit großem Springbrunnen und einem leckeren Döner aus dem „Mesopotamia Grill“ um die Ecke, wo man sich auch gepflegt „die Hände waschen“ kann. Zufrieden, satt und entspannt geht es schließlich weiter Richtung Lübeck zum letzten Ladestopp dieser Reise.