Ein Geschäftstermin in Hannover. Noch vor einem Jahr wäre ich um sechs in Berlin aufgestanden, hätte spätestens um sieben den Motor gestartet und wäre dann nach mehr oder weniger zweieinhalb bis drei Stunden in Hannover angekommen. (Na gut, Baustellen oder schlechtes Wetter haben daraus auch schon mal drei bis vier Stunden werden lassen.) Entweder hätte ich den Tank schon am Vorabend voll gemacht oder später einen kurzen Tankstopp geplant. Jedenfalls hätte die rund 300 km Strecke keiner großen Vorbereitungen bedurft.
Unterwegs mit der „Elektrischen“
Heute ist das etwas anders. Jetzt muss ich solch eine Fahrt etwas intensiver planen, seit ich im letzten April auf ein Elektroauto umgestiegen bin. Nach Hannover zu kommen, war bislang sogar schlicht unmöglich, da erst zum Ende des Jahres an entscheidenden Stellen dieser Strecke Lademöglichkeiten entstanden sind. Inzwischen hat sich jedoch schon eine Menge getan und es sollte jetzt gut möglich sein, die Strecke elektrisch zu bewältigen.
Allerdings herrschen winterliche Temperaturen um den Gefrierpunkt und damit ist eine geringere Reichweite als im Sommer verbunden. In der Stadt und bei Kurzstrecken waren das unter Einsatz der Heizung nur noch so etwa 100km pro Akkuladung. Genug für meinen Alltag, aber für die Fahrt über die Autobahn wären etwas mehr Kilometer schon ganz schön. Na schauen wir mal, wie das morgen klappt…
Erste Etappe: Wollin
Nur rund 80km sind es bis zu meiner ersten Kaffeepause. etwas mehr wäre wirklich schöner, aber leider gibt es erst nach weiteren 50km die nächste Lademöglichkeit. Im Winter ist sie wohl in einem Stück nicht erreichbar. Und ich habe außerdem bei GoingElectric den Tipp eines Kollegen gelesen, dass man den Akku erst einmal richtig warm fahren soll. Dann nimmt er beim Ladestopp auch mehr Strom auf und die Reichweite steigt.
Ok, versuchen wir’s. Die ersten 20km ist die Strecke ohnehin auf 80 bis 100km/h begrenzt, danach steht 120 auf dem Schild. Nach dem Berliner Ring ging es dann früher so mit 150km/h weiter. Das ist mit den heute erhältlichen Elektroautos (außer Tesla) jedoch nicht möglich. Je weiter man kommen will, desto gesitteter muss man fahren. Bei nur 80km Strecke kann da aber nicht viel passieren, denke ich. Bin schon gespannt.
Abfahrt 6:50 Uhr
Ich bin pünktlich losgefahren und auch gut vorangekommen. Das Wetter ist schön, ein herrlicher Morgen mit -2 Grad. Mit der Heizung auf 22 Grad und so um die 105 Sachen auf dem Tacho geht es gut voran. Schließlich komme ich mit 21 km Restreichweite an.
Die ABB-Ladesäule ist frei und lässt sich mit zwei Klicks einschalten. 65 Minuten, schätzt die Ladetechnik der ZOE, wird der Ladevorgang dauern. In der Tankstelle gibt es einen Gastronomiebereich mit Köchin. Backwaren und guter Kaffee sind ebenfalls zu haben, Sitzgelegenheiten und Fernsehen verringern bei Bedarf die Ladeweile.
Da ich ja ohne Zeitdruck unterwegs bin, läuft das bisher sehr gut. Nachdem ich meinen Milchkaffee ausgetrunken habe, zeigt der Ladestand bereits 65 km Reichweite an. Das würde sogar bis zum nächsten Stopp reichen. Ich starte dann bei aber erst bei 90% die Heizung und nachdem 5 Minuten später das Auto schön warm ist, beende ich die Ladung. Weiter geht es um 8:45 Uhr.
2. Stopp: Magdeburg 9:19 Uhr
Und schon geht’s schief: Die für 50€ Pfand ausgeliehene Ladekarte kann der SWM-Säule keine Reaktion entlocken. Die Hotline ist sehr freundlich, will auch einen Techniker schicken, der die Säule resetten soll. Aber inzwischen ist es beinahe 10 Uhr und noch eine halbe Stunde bis zum Ladestart möchte ich nicht warten.
Ok, ich bin die 60km hierher zwar mit 120 gefahren, aber der Akku ist jetzt warm und hat noch Ladung für 30km, obwohl er ja in Wollin nicht ganz voll war. Also ab in Richtung Magdeburg City: Ladesäule Thietmarstraße. Die ist leider etwas schwierig zu finden, da hinter einer Mauer auf der Rückseite einer Autovermietung versteckt. Doch schließlich hängt die ZOE dran. Die freundliche Dame vom ADAC, der diese Säule betreibt, schaltet nach meinem Anruf den Strom ein und los geht’s.
Eine Stunde extra hat mich der Spaß gekostet. Aber dafür habe ich wieder eine neue Erfahrung: Im Dunkeln hätte ich die zweite Säule nicht gefunden und wer weiß, wann man die mal wieder braucht. Gut auch, Plan B zu haben. Das braucht man eben immer mal. Es war und ist ja klar: wenn man schnell von A nach B kommen will, dann gibt es andere Lösungen. Elektromobilität ist derzeit noch auf etwas Abenteuerlust angewiesen. Hab ich!
Zitterpartie
Der nächste Ladestopp soll in Peine sein, im Parkhaus am Pulverturmmwall. 107 km von hier aus. Na da müssen wir jetzt etwas Energie sparen, denke ich, denn das ist jenseits der zuletzt angezeigten Reichweiten…
Und so reift in mir in den nächsten 20 Minuten die Überzeugung: Das schaffst du nicht! Rund 14 Kilometer fehlen gemäß der Reichweitenanzeige. Und trotz ECO-Modus, ausgeschalteter Heizung und in Reihe mit den Brummis bleibt das die ersten 50 km geradezu konstant. Dann, ganz plötzlich, verbessert sich die Vorhersage. Und schließlich komme ich sogar mit über 21km „Guthaben“ in Peine an.
Aber vorher gönne ich mir noch einen Blick auf den Braunschweiger Flughafen. Gleich acht Ladebuchsen mit je 22kW sollen hier stehen. (Dafür gibt’s aber nirgends ein Klo!)
Nun gut, nach einiger Sucherei habe ich beides gefunden: Das neue (!) Flughafengebäude ist allerdings noch nicht ganz fertig. Ja, das kennen wir Berliner sooo gut… Immerhin arbeiten hier wohl schon einige Leute und das Gebäude scheint auch in Betrieb zu sein.
Die Ladesäulen ebenfalls. Fast alle sind jedoch von Verbrennern blockiert. Ich kann trotzdem vier Buchsen testen, die auch sofort Strom liefern, leider aber nur mit lediglich 11kW je Anschluss. Kostet zwar nix, ist aber ein bisschen langsam für die Durchreise. Die Entscheidung für mehr 2x11kW-Säulen gegenüber weniger 2x22kW-Modellen kann man an diesem Standort aber nachvollziehen. Am (kleinen) Flughafen ist das Angebot der Betrieber wohl eher für CarSharing-Autos, Fahrzeuge von Mitarbeitern oder ähnliche „Langzeitparker“ gedacht. Dazu an anderer Stelle aber später mehr.
Ach ja, und dann hat noch die freundliche Mitarbeiterin des Magdeburger Stromversorgers SWM angerufen und mir freudig mitgeteilt, dass die Ladesäule nun wieder funktioniert. Das ist schön zu wissen, denn morgen will ich ja auf der Rückfahrt gerne dort laden. Wir vereinbaren, noch einmal Kontakt aufzunehmen, denn man ist an konstruktiver Kritik und Vorschlägen im Unternehmen offenbar sehr interessiert. Nun aber los, schon wieder fast eine Stunde mit Suchen und Plaudern verzockt.
Verborgene Schätze in Peine
Nein, hier geht’s mal nicht um Geocaching, jedoch um ein eigentlich sehr nettes Parkhaus, das sich jedoch an einer anderen Hausnummer versteckt und die fast vergebliche Suche nach Peines Gastronomie. Aber der Reihe nach.
Nachdem die Innenstadt von Peine also glücklich und mit beruhigender Reserve erreicht ist, will mich die Stimme des Navis auf den letzten 100 Metern in eine Art Fußweg leiten. Kein Hinweisschild oder ähnliches ist zu sehen. Zwar würde ich zwischen den Hauswänden gerade so hindurch passen, aber als Zufahrt für ein Parkhaus hätte niemand diese Gasse vorgesehen.
Nach drei Runden durch ähnlich schmale, aber immerhin zweispurige Sträßchen muss ich dann doch mal das iPad zu Rate ziehen. Und schnell wird deutlich, das Parkhaus ist vermutlich eine Straße weiter. Na bitte, die Zufahrt ist dann endlich gefunden und auch die zwei freien (!) grün markierten Ladeplätze gleich neben den Frauenparkplätzen schnell entdeckt. Aber was machen jetzt Damen mit Elektroautos? Mmh, schwierig… Aber ich bin ja ein Mann, da ist die Lösung einfach.
SMS abgeschickt, Strom wird eingeschaltet. Passt! Knapp eine Stunde Zeit. Da suchen wir uns mal eine schöne Lokalität und speisen gepflegt. Es ist kurz vor Zwei und eine warme Mahlzeit sehr willkommen. Der Marktplatz und die angrenzende Fußgängerzone wird schon etwas Geeignetes bieten. Hähä, denkste.
EISKAFFEEs!!! Und davon gleich drei oder vier Stück. Während mir der polare Frost um die Ohren weht habe ich da echt wenig Bedarf für. Einige andere Etablissements möchten „Cocktails und mehr…“ verkaufen oder bieten Tapas, Drinks und Tex-Mex-Ambiente. Aber wohl nur abends, denn sie sind zu. Der „Goldene Drache“ stellt sich als überwiegend leerer Raum mit Tresen für Selbstabholer und einem Tisch heraus, an dem ein älterer Peiniger (oder heißt es Peinlicher) seinen „Geblaten Leis“ mümmelt. Schnell wieder weg! Der Rest, den ich finde, sind Backstuben mit Kaffeeausschank oder eine Bude mit Schmalzgebäck. Oh jeh, Peine, deine Cholesterinwerte möchte ich nicht wissen.
Die Odyssee endet erst nach 20 Minuten, als ich tief in einer Seitenstraße verborgen das „Azzurro“ entdecke. Ein kleines italienisches Restaurant mit echten Italienern, unechtem edlen Ambiente, aber wirklich erstaunlich leckerem Essen zu sehr günstigem Preis. Als ich schließlich satt und zufrieden wieder im Parkhaus ankomme, hat der Akku 97%. Super Timing also. Das Parken kostet 1,20€, der Strom war umsonst. Danke, Peine!
Sie haben ihr Ziel erreicht…
Und so flutschen auch die letzten rund 50km bis zu meiner Kundin nach Hannover ganz gut. Gegen 15:30 Uhr lade ich wieder – aber diesmal aus: Nämlich meine Gerätschaften. Nun aber endlich ran an die Arbeit.
Achteinhalb Stunden für die Anreise ist natürlich keine echte Basis fürs Business. Da braucht es mit der aktuellen Akkuleistung noch einigen Enthusiasmus. Mit dem Zug wäre ich allerdings wohl gar nicht angekommen und säße jetzt vielleicht auf einem Kleinstadtbahnhof fest, denn die Lokführer streiken mal wieder… Dann schon lieber individual-elektrisch unterwegs anstatt öffentlich-personenbefördert auf dem Abstellgleis.
Es hat also gedauert. Aber ich bin das erste Mal rein elektrisch nach Hannover gekommen, mit all meinem Krempel und recht entspannt, satt und sauber. Doch wie geht es weiter? Wird die ZOE je wieder Berlin erreichen? Ist der „Load Stop“ ein neues Geschäftsmodell? Und kann man überhaupt von „Mobilität“ sprechen, wenn man eigentlich IMMER an der Strippe hängt und literweise Kaffee trinkt?
Lesen Sie hier die Antworten…